Verlässlichkeit als Ressource: Wie ein Mentoringprogramm dem Alltag einer
alleinerziehenden Familie Struktur, Perspektive und Zuversicht verleiht
Es gibt Geschichten, die fangen ganz harmlos an. Mit einem Jungen, der Basketball
spielt. Mit einem Mann, der Zeit und Lust auf ein Ehrenamt hat. Mit dem Hamburger
Verein „Zeit für Zukunft – Mentoren für Kinder“ und unserer Stiftung in Lüneburg,
die eigentlich gar nichts mit Basketball am Hut hat – und trotzdem plötzlich kurz
mitspielen durfte.
Dies ist die Geschichte von David, zwölf Jahre alt, großer Bruder, großer
Basketballfan, Zukunftsoptimist – und von Sebastian, dem Mentor mit trockenem
Humor, viel Lebenserfahrung und dem Herz am rechten Fleck. Ach ja, natürlich auch
von Ena, Davids kleiner Schwester. Und von einer Mentoring-Beziehung, die zeigt,
dass gesellschaftliche Teilhabe nicht immer riesige Programme braucht – manchmal
reicht ein verlässlicher Mensch und ein Paar gut sitzende Schuhe.
David lebt mit seiner Mutter und Ena in Hamburg. Sein Vater? Der lebt irgendwo in
Deutschland, telefoniert gelegentlich mit der Familie, aber ist im Alltag keine
konstante Größe. Seine Mutter stemmt den Laden allein. Sie arbeitet viel, spricht mit
David offen über Geldsorgen – und wünscht sich, dass ihre Kinder es mal leichter
haben.
Denn das Aufwachsen mit nur einem Elternteil bedeutet nicht nur eine Verdichtung
familiärer Verantwortung auf eine einzelne Person, sondern auch eine potenzielle
Einschränkung kindlicher Erfahrungsräume. Alleinerziehende Eltern – meist Mütter –
tragen nicht nur die wirtschaftliche Last allein, sondern auch die emotionale und
pädagogische. In vielen Fällen bleibt schlicht keine Zeit für das, was außerhalb von
Arbeit, Haushalt und existenzieller Sicherung liegt: individuelle Interessen fördern,
Fragen des Heranwachsens besprechen, das Kind in seiner ganzen Persönlichkeit
spiegeln. Alleinerziehend zu sein, ist kein Spaziergang. Besonders nicht in einer
Großstadt, in der die Mieten steigen, während das Konto oft nicht mitzieht. David hilft
seiner Mutter, so gut er kann – holt Ena manchmal von der Schule ab und betreut
sie, übernimmt Verantwortung, obwohl er selbst noch mitten im Kindsein steckt.
Der Verein Zeit für Zukunft vermittelt Kinder aus belasteten Lebenslagen an
ehrenamtliche Mentor:innen – Erwachsene, die regelmäßig Zeit schenken, ohne
erziehen zu wollen. Bevor es zur Vermittlung eines Tandems kommt, durchlaufen die
Mentor:innen verpflichtende Schulungen. Diese bereiten nicht nur auf den sensiblen
Umgang mit kindlichen Bedürfnissen vor, sondern klären auch über ethische und
pädagogische Grenzen auf. So darf es etwa keine Übernachtungen geben, keine
Urlaube, keine Rollenkonflikte mit den Eltern – die Integrität des kindlichen Raums
steht im Zentrum.
Sebastian ist eigentlich in Rente. Irgendwann saß er vor dem Fernseher, sah einen
Beitrag über den Verein Zeit für Zukunft – und war begeistert. Statt Rosen züchten
oder Dauerurlaub auf Sylt: Mentoring! Jemandem regelmäßig Zeit schenken, ohne
Leistungsdruck. Einfach da sein. „Ich bin nicht Davids Vater. Und das ist auch gut so.
Ich begleite – aber ich erziehe nicht.“
Die Tandems – ein Kind (Mentee) und eine erwachsene Bezugsperson (Mentor:in) –
werden mit großer Sorgfalt „gematcht“. Bei David und Sebastian: Volltreffer.
David und Sebastian sehen sich regelmäßig – zweimal die Woche ist Standard. Sie
fahren Rad, machen Ausflüge, reden über Schule, das Leben, über Freundschaft
und Verantwortung.
Basketball ist Davids große Leidenschaft. Er hat es einfach mal ausprobiert und
sofort gewusst: „Das ist mein Ding.“ Aber wie das mit wachsenden Kindern nun mal
ist: Die Füße werden länger, die Schuhe enger – und die Mutter kann nicht immer
alles finanzieren, was nötig ist. Sebastian sprang ein und kaufte ihm ein Paar, das
aber bald wieder zu klein war. Und dann kam die Helene Wilken Stiftung aus
Lüneburg ins Spiel. Unsere Stiftung unterstützt alleinerziehende Familien – und in
diesem Fall: Davids Füße. Er ist stolz: „Die passen richtig gut und sehen auch noch
cool aus.“
Davids Schwester Ena geht in die Grundschule. Auch sie hat eine Mentorin über den
Verein – sie treffen sich einmal pro Woche, basteln, schauen Filme, knüpfen
Armbänder. Ena hat eine Nähmaschine bekommen – ebenfalls über die Helene
Wilken Stiftung. Nicht, weil sie sofort Designerin werden will, sondern damit sie sich
nicht benachteiligt fühlt. Und wer weiß: Vielleicht näht sie David ja mal ein Trikot.
An Weihnachten lud Sebastian mit seiner Frau die Familie ein. Es gab Geschenke
und echtes Miteinander. Ab und an kocht Davids Mutter als Dankeschön für alle – es
ist, wie Sebastian sagt, „immer verdammt lecker“. Solche Momente sind nicht
spektakulär, aber bedeutungsvoll. Es sind diese Gelegenheiten, bei denen Kinder
merken: Da sind Erwachsene, die bleiben.
Wenn es um Handyzeiten oder Erziehungsfragen geht, hält Sebastian sich wie
gesagt raus. Aber reden? Klar. Unterstützen beim Lernen? Gerne. Mathe-Nachhilfe
inklusive. Und manchmal auch einfach nur zuhören. „Aber ich stelle keine Regeln
auf. Ich kann anders da sein. Und wenn ich unsicher bin, rede ich mit dem Verein.
Oder höre auf mein Bauchgefühl – das liegt erstaunlich oft richtig.“
Sebastians Rat an alle, die überlegen, Mentor:in zu werden: „Keine Angst haben.
Offen und neugierig sein. Sich nicht unter Druck setzen. Und: Verlässlich sein. Kinder
merken ganz genau, ob man wirklich meint, was man sagt. Der Rest wächst. Und es
ist auf jeden Fall richtig gut zu wissen, dass man zeitlich flexibel ist.“ David findet in
Sebastian jemanden, der einfach da ist, ohne Bedingungen zu stellen. Auch
jemanden, der bei seinen Basketballspielen am Rand sitzt, wenn die Mutter es nicht
schafft.
Auch Sebastian profitiert. „Mir macht es großen Spaß mit David Zeit zu verbringen.
Es ist an so vielem interessiert. Und ich erkenne mich in David oft wieder. Ich habe
Action genauso geliebt und für die Schule nur das Nötigste gemacht. Aber ich hatte
nicht so früh Verantwortung für eine Schwester. David wächst da in etwas hinein,
was sehr herausfordernd ist. Ich habe großen Respekt davor.“
Zwischen David und Sebastian hat sich über die Monate eine vertrauensvolle,
tiefgehende Beziehung entwickelt. Als Sebastian umzog, half David
selbstverständlich mit. Als David sich für die frühere Arbeitsstelle seines Mentors
interessierte, organisierte Sebastian einen Besuch. „David will alles verstehen und ist
sehr reflektiert für sein Alter“, sagt er.
David hat klare Pläne: „Ich will später fair bezahlt werden, eine Familie haben, mit
meiner Mutter reisen und ihr Sachen kaufen, die sie sich jetzt nicht leisten kann.
Meine Kinder sollen es mal einfacher haben.“ Er möchte ein ganzes Haus kaufen
(„Kein Doppelhaus wie Sebastian!“) und ein Auto besitzen – nicht nur, weil das
praktisch ist, sondern weil Bus und Bahn mit müden kleinen Schwestern manchmal
einfach zu viel sind.
David weiß genau, woher er kommt, wohin er will. Und David hat Träume. Er war im
Basketballcamp, hat neue Freunde gefunden, will weiter wachsen. „Basketball-Profi
werden wäre auch toll. Und ich will noch mehr Freunde haben – so wie Sebastian“,
sagt er. Und Sebastian ergänzt: „Freundschaften brauchen Zeit. Und Pflege. Aber
David bringt alles mit, was es dafür braucht.“
In dieser Geschichte geht es um mehr als ein gelungenes Tandem. Es geht um die
kleinen, konkreten Schritte, mit denen sich gesellschaftliche Ungleichheit auffangen
lässt. Um Vertrauen, das entsteht, wenn Menschen sich regelmäßig begegnen –
ganz ohne pädagogischen Zeigefinger. Und um den Wert von Zeit und
Verlässlichkeit.
Mehr Informationen:
Zeit für Zukunft – Mentoren für Kinder e.V.: www.zeitfuerzukunft.org
Du willst auch Mentor:in werden?
Mach’s wie Sebastian: Fernseher aus, Neugier an. Und dann einfach melden:
info@zeitfuerzukunft.org
Tipp: Keine Angst, man wächst da rein.